FAQ

Häufig gestellte Fragen:

1) Sind XXY und Klinefelter-Syndrom dasselbe?

Während Harry Klinefelter im Jahr 1942 neun Männer mit ähnlichen Eigenschaften entdeckte, und das Syndrom daher Klinefelter-Syndrom genannt wurde, identifizierte Patricia Jacobs im Jahr 1959, dass Männer mit Klinefelter-Syndrom den Karyotyp 47,XXY aufweisen (XXY).

Jedoch sind auch Männer mit Symptomen des Klinefelter-Syndroms bekannt, die den normalen 46,XY-Karyotyp aufweisen. Ebenso wurden ein paar Frauen mit XXY dokumentiert. Für sie sind die Symptome des Klinefelter-Syndroms irrelevant.

Folglich sind sich XXY und KS einander ähnlich, aber nicht immer austauschbar. XXY ist nicht immer eine männliche Angelegenheit: Wegen der Genderdiversität gilt auch für XXY, dass ein paar männlich, ein paar weiblich und andere dazwischen sind.

Jene jedoch, die sich nicht als Mann identifizieren, lehnen den Begriff Klinefelter-Syndrom oft ab. Dieser impliziert nämlich, dass mit ihren Körpern etwas nicht in Ordnung sei, dass etwas in Ordnung gebracht werden muss. Sie bevorzugen daher XXY.

2) Sind XXY-Männer weniger intelligent als der Durchschnitt?

Nach Groth et al. (2013) liegt deren IQ meist zwischen 88 und 110, was dem Durchschnitt entspricht. Hochschulabsolventen sind keine Seltenheit, sondern gemäß behandelnder Fachärzte sogar die Regel. Dies würde auch die hohe Dunkelziffer an Betroffenen erklären. Lern- und Konzentrationsstörungen in der Schule können zudem bei rechtzeitiger Diagnose durch Förderungen frühzeitig behandelt werden. Der Umstand, dass in einigen wissenschaftlichen Studien eine leichte Tendenz zu etwas niedrigerem IQ vorliegt, könnte auch daran liegen, dass die untersuchten Kinder eher durch Förderbedarf auffallen und dadurch diagnostiziert wurden. Man bedenke dabei aber die oft enorm geringen Fallzahlen ( Studien mit mehr als 50 Klinefelter-Patienten sind selten).

Spekulation: Da sich XXY-Kinder mit verbalen Anweisungen schwerer tun als andere Kinder, könnte auch der teils verbale, teils nonverbale Wechsler-IQ-Test schlechtere Ergebnisse liefern als der rein nonverbale Raven-IQ-Test.

3) Neigen XXY-Männer zu mehr krimineller Energie?

Nach Aksglaede et al (2013)  hat man zwar eine deutlich erhöhte Kriminalitätsrate gefunden, aber hier wird betont dass, …

However, it is equally important to note that when socioeconomic status was taken into account no significant increase in the crime rate of patients with KS was identified.

wenn der sozial-wirtschaftliche Status berücksichtigt wurde, keine signifikante Erhöhung der Kriminalitätsrate bei XXY-Männern festgestellt werden konnte. Das heißt mit anderen Worten: Bildung und Armut tragen zur Kriminalität bei und nicht Chromosomenänderungen.

4) Sind XXY automatisch intersexuell?

Die Mehrheit der Menschen mit dem Karyotyp 47,XXY empfindet sich als männlich und sind auch rein anatomisch Männer mit männlichen Genitalien.

Ginge man davon aus, dass alle Männer mit XXY sich als Männer identifizieren und sich auch dem Geschlecht entsprechend fühlen wollen, entspräche XXY dem Klinefelter-Syndrom. Denn das Syndrom ist die Folge des Testosterondefizits.

Wie unter 46, XY auch gibt es unter 47, XXY Männer, die sich nicht mit dieser Geschlechtsidentität identifizieren.

In our experience, both in research and in clinical practice, the two terms – KS and XXY – are almost always
used interchangeably. Yet, the study inquiries that we received highlighted an interesting issue: Should there be
a distinction between XXY and KS? Males diagnosed with KS will generally have an XXY karyotype, or variation
thereof. However, perhaps not everyone with a XXY karyotype should be diagnosed with KS.
KS defines characteristics that are only unusual if found in a male. Common symptoms, such as low testosterone and breast
development, are not unexpected features (or symptoms) if identified in a female.

Therefore, for an individual with an XXY karyotype who does not identify as male, KS may not be a suitable diagnosis.

Quelle: gender in Klinefelter syndrome and 47_XXY

Die Autoren führen weiter aus: Auch für XXY-Menschen, die sich als Mann identifizieren, aber die vermeintlichen Defizite als Teil ihrer Persönlichkeit betrachten und sich nicht einer gesellschaftlichen Norm (nur wer maskulin ist, ist ein Mann) unterwerfen wollen,  trifft die Diagnose Klinefelter-Syndrom nicht zu.

Trotz der bekannten positiven und mitunter lebensverlängernden Effekte einer Testosteronersatztherapie ist diese möglicherweise für jene ungeeignet oder sogar schädlich, die zwar ihre Geschlechtsidentität angenommen haben, aber trotzdem nicht männlicher werden wollen. Sie stellen ihre Identität über negative gesundheitliche Aspekte.

XXY-Menschen wollen nicht als schräg wahrgenommen werden, weil sie nicht dem traditionellen Geschlechterbild entsprechen, aber auch nicht als intersexuell, wie es von den Medien immer wieder transportiert wird.

Der User Onni Neko erläutert, welche verschiedenen Varianten es bei XXY gibt und spricht sich gegen die Beschreibung „Klinefelter-Syndrom als häufigste Chromosomenstörung beim Mann“ aus:

Manche weibliche XXY haben eine Vagina und keine Gebärmutter, manche haben eine Gebärmutter und keine Vagina, andere haben 1 Eierstock und 1 Hoden, andere haben nur einen Eierstock. Das ist die Beschreibung für weiblich bis intersexuell. Es gibt augenscheinlich männliche XXY, die einen Eierstock und keine Hoden aufweisen, oder jeweils eines von beiden, oder eine Gebärmutter – diese letzte Gruppe sind die XXY, die als intersexuell angenommen werden.

Er stellt folgende Gruppen auf:

Gruppe 1 weiblich
Meistens weiblich oder nahezu weiblich, klare Merkmale und größtenteils fähig, Kinder zu gebären.

Gruppe 2 weiblich intersexuell
Meistens nahezu weiblich, klare Merkmale, manche können Kinder gebären, die meisten haben annähernd normale weibliche Organge.

Gruppe 3 Intersexuell
Mischung aus weiblich und männlich

Grupp 4 männlich intersexuell
allgemein weiblicher Phänotyp (Körper weniger maskulin als gewöhnlich und weiblicher Charakter), männliche Geschlechtsorgane, Schwierigkeit bei Testosterontoleranz bei rund der Hälfte der Gruppe

Gruppe 5 männlich
meist männlicher Phänotyp mit einigen weiblichen Eigenschaften in manchen Fällen, verträgt Testosteron gut, sollte männlich sei

Frauen mit der Mosaikform XX/XXY sind Frauen von Geburt an, während Männer mit XY,XXY Männer von Geburt an sind. Eine Frau ist per medizinischem Standard durch eine vorhandene Gebärmutter definiert, obwohl viele Ärzte sagen, dass das allzu sehr vereinfacht sei.

Um die obige Frage zu beantworten:

Nein, XXY sind nicht automatisch intersexuell, aber Intersexualität kommt ebenso wie Transsexualität und Homosexualität vor.

5) Ist XXY dasselbe wie Down-Syndrom?

Das Down-Syndrom trägt den Karyotyp 47,XX +21 (Trisomie 21), hier liegt das gesamte oder Teile des 21. Chromosoms dreifach vor.
Bei XXY ist in manchen (Mosaikform: 46,XY;47,XXY) bzw. in allen Körperzellen (vollständiger 47,XXY-Chromosomensatz) ein Chromosom zu viel.

6) Gibt es auch eine weibliche Variante des Klinefelter-Syndroms?

Ja: (Ullrich-) Turner-Syndrom: 45, X0 (ein X-Chromosom fehlt), nachfolgender Text ist eine teilweise Übersetzung dieser Symptomzusammenfassung:

Symptome:

  • vor der Geburt: dicker Hals, geschwollener Hals (zystisches Hygrom), geringe Körpergröße
  • Neugeborene: oft geschwollene Hände und Füße, die durch eine Anhäufung von Flüssigkeit im umgebenden Gewebe verursacht wird (= Lymphödem), verschwindet aber bald nach der Geburt.

häufigste Eigenschaften des Turner-Syndroms (betrifft 9 von 10 Frauen mit Turner-Syndrom):

  • kleiner als der Durchschnitt
  • Eizellen arbeiten nicht richtig
Ohne Behandlung werden 45,X0-Frauen rund 140 cm groß, im Erwachsenenalter sind sie durchschnittlich 20 cm kleiner als normale Frauen. Wachstumshormone können diese Differenz verringern.
Die Eizellen produzieren Eier und Geschlechtshormone, während der Pubertät beginnen sie mit der Produktion von Östrogen und Progesteron, allerdings nicht bei 45,X0-Frauen, was dazu führt, dass ….
  • sie ihre Monatsperiode nicht starten
  • sich ihre Brüste nicht vollentwickeln
  • sie unfruchtbar sein können
Die Hormonersatztherapie sorgt dafür, dasss sich Vagina und Gebärmutter dennoch normal entwickeln, wodurch sie ein normales sexuelles Leben haben können, rund 3 von 10 Mädchen erfährt körperliche Veränderungen während der Pubertät und eine sehr geringe Zahl kann auch normal schwanger werden.
Das Turner-Syndrom ist oft mit gesundheitlichen Erkrankungen verbunden, z.B. Schilddrüsenunterfunktion, Bluthochdruck, Osteoporose, Skoliose, Diabetes, Lymphödeme.
Die meisten Mädchen mit Turner-Syndrom können gut lesen und schreiben. Rund ein Drittel der 45,XO-Mädchen hat Schwierigkeiten, Freundschaften aufrechtzuerhalten und erfährt später Probleme zuhause und in der Arbeit, sie sind tendenziell ängstlich und leicht glücklich zu machen, was sie angreifbar macht, weil sie naiver sein können. Viele 45,X0 frauen arbeiten gerne mit Kindern. Etwa 80 % hat Schwierigkeiten mit räumlichen Sehen (z.B. beim Autofahren oder bei Richtungen auf einer Karte), ähnlich viele haben gewisse Probleme bei mathematischen Aufgaben.
Aufmerksamkeitsdefizit- und Hyperaktivitätsprobleme können Symptome der ADHS sein, aber medizinische Behandlung springt beim Turner-Syndrom möglicherweise nicht so gut an.

Ebenso neigen Turner-Frauen häufiger zu autistischen Verhaltensweisen (Skuse et al., 1997; Donnelly et al., 2000 und Hou et al., 2006). In einer neueren Studie von Ingbar-Feigenberg et al. (2013) lag die Hälfte (14/28) der Mädchen mit Turner-Syndrom im Autismus-Spektrum, davon 25 % im stärker betroffenen Bereich.

7) Wie verhalten sich typische 47,XXY-Kinder?

Bücher, die Verhaltensweisen von XXY charakterisieren, gibt es bisher auf englisch und auf niederländisch sowie als Leitfaden für die Schule: The Learning Needs of Boys with KS: Information for Parents and Teachers (Übersetzung ins Deutsche). XXY ist ein Spektrum und daher sind XXY individuell verschieden. Häufig genannte Merkmale können, müssen aber nicht immer auftreten.

Zahlreiche Beiträge von Eltern über ihre XXY-Kinder finden sich in diesem Forum für Rehakids.

8) Wie erkläre ich meinem Kind das Klinefelter-Syndrom?

Bei Kindern, die bereits vor der Geburt oder als junge Kinder diagnostiziert wurden, ist es am besten, mit kurzen, einfachen Erklärungen im Alter von 5 oder 6 Jahren zu beginnen. Sie können erklären, dass jede Zelle im Körper „Botschaften“ besitzt, die dem Körper mitteilen, wie er zu wachsen hat, und dass das zusätzliche X einige zusätzliche Botschaften sendet, was mitunter hilft, die Notwendigkeit zusätzlicher Hilfen bei sonderpädagogischem Unterricht in der Schule zu erläutern.

Falls Medikamentierung wie Ritalin für ADS benötigt wird, können Sie aufzeigen, dass das zusätzliche Chromosom bei der Erklärung hilft, weshalb Medikamente benötigt werden, um Aufmerksamkeit in der Schule zu verbessern. Später, bei Besuchen bei einem Endokrinologen, können Sie ausführlichere Erklärungen über die Notwendigkeit von Testosteronersatz bereitstellen. 47,XXY sollte niemals ein Geheimnis sein; das Kind wird spüren, dass da etwas ist, das Eltern zurückhalten. Wenn die Zeit kommt, um über Sexualität und Kinderwunsch zu erfahren, können Sie das Thema der verringerten Fruchtbarkeit einbringen, und die Notwendigkeit von Unfruchtbarkeitsbehandlungen, Spenderspermien oder Adoption, um später im Leben eine Familie zu gründen. Versichern Sie Ihrem Kind, dass die Veranlagung verbreitet vorkommt und dass Lernbeeinträchtigungen ihr Kind nicht „behindert“ machen.

Quelle: FAQ_KSA_auf_deutsch

Ein umfassender Leitfaden dazu, wie man Kindern, Heranwachsenden und Erwachsenen am Besten XXY oder Klinefelter-Syndrom erklärt, ist der vom Amerikanischen Verein für Betroffene mit X- und Y-Chromosomenänderungen: auf Englisch und von mir ins Deutsche übersetzt.

9) Ist ein XXY-Mann automatisch Autist oder ADHSler?

Obwohl es teils beträchtliche Überlappungen der Symptome geben kann, gibt es keine 100 % Übereinstimmung. Die Zahlen für Autismus variieren je nach Studie stark, in den Niederlanden werden etwa 30 % der XXY-Männer mit PDD-NOS (atypischer Autismus) diagnostiziert, in den meisten Studien, die ich bisher gesehen habe, variieren die Zahlen zwischen 25 und 50 %. Bei ADHS sind es hingegen 60-80 %. Da die Symptome bei XXY so vielfältig sind, sind genetische Einflüsse sehr wahrscheinlich. Nicht ein einzelnes Gen, auch nicht das zusätzliche X-Chromosom alleine, ist für die Symptom-Vielfalt verantwortlich, sondern ein Zusammenspiel mehrerer Faktoren.

10) Was ist der Unterschied zwischen Sex und Gender?

Die Begriffe Sex (Geschlecht) und Gender werden oft austauschbar verwendet, aber linguistisch besteht dennoch ein großer Unterschied. Sex bezieht sich auf biologische und physiologische Kennzeichen, während Gender sich auf Verhalten, Rollen, Erwartungen und Aktivitäten in der Gesellschaft bezieht.

Die Beziehungen sind also: Sex -> männlich oder weiblich; Gender: maskulin oder feminin

Geschlechterunterschiede variieren nicht weltweit, aber Genderunterschiede schon.

Beispiele für Sex:

  • Frauen haben eine Vagina
  • Männer haben einen Penis
  • Männliche Neugeborene wiegen tendenziell mehr als weibliche Neugeborene
  • Frauen können ihren Babies Milch geben
  • Männer haben tiefere Stimmen als Frauen
  • Frauen können schwanger werden.
  • Männer haben Hoden, Frauen Eizellen.

Beispiele für Gender:

  • Frauen machen eher mehr Hausarbeit als ihre Ehemänner.
  • Ein höherer Prozentsatz an US-Ärzten sind Frauen, verglichen mit Ägypten.
  • Pflegen wird oft als Frauenjob gesehen, obwohl viele sich viele Männer ausbilden lassen.
  • In manchen Ländern müssen Frauen ihren Kopf bedecken, wenn sie das Haus verlassen.
  • Vor 120 Jahren durften Frauen bei Wahlen noch nicht wählen gehen.

Anders ausgedrückt:

Sex bezieht sich auf eine natürliche oder biologische Eigenschaft (wie Chromosomen, Hormone, Physionomie)

Gender bezieht sich auf eine kulturelle oder erlernte Bedeutung von Sex und ist eine Rolle, die einem zugewiesen wird oder die man sich selbst zuweist.

Quelle: http://www.medicalnewstoday.com/articles/232363.php

11. Ist das Klinefelter-Syndrom/XXY eine Behinderung?

Da es sich zunächst um eine genetische Variation handelt, ist es keine Behinderung. Erst die Begleiterscheinungen und Folgeerkrankungen können daraus einen Behindertenstatus notwendig machen, etwa Diabetes, Osteoporose, Lernschwächen oder Autismus. Auch Unfruchtbarkeit zählt als Behinderung, wird in Deutschland allerdings nur mit 20 % eingestuft. Bevor man sich die Mühe macht, einen Schwerbehindertenausweis zu beantragen, sollte man sich über die Vor- und Nachteile bewusst sein – hier am Beispiel Autismus.

Wer seit Jahrzehnten im gleichen Job tätig ist, für den mag der Ausweis mehr Vorteile haben als für jemand, der immer wieder zwischen den Jobs wechselt. Wer leichter eine Anstellung findet, für den ist der Ausweis weniger ein Hindernis als in Orchideenberufen. Gegenüber Autismus existieren reichlich Vorurteile, während man über das Klinefelter-Syndrom üblicherweise rein gar nichts weiß bzw. davon noch nie gehört hat. Eine oberflächliche Recherche im Internet ergibt meist schauerliche Vorurteile, und verbessert die Situation des Outenden erst recht nicht. Wer XXY outen muss oder möchte, sollte also bestenfalls dazu sagen, dass darüber viele Vorurteile kursieren und nicht alle Betroffenen mit allen aufgeführten Symptomen Probleme haben.

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