Der Letzte sein, der die Vorteile erkennt?

Seit vielen Jahren wehre ich mich gegen ein Smartphone.

Teils aus rationalen Gründen:

  • Apps, die private Daten abgreifen
  • Software, die ständig aktualisiert werden muss
  • Sicherheitsrisiko durch Schadsoftware
  • der Preis, nachdem ich in 12 Jahren noch nie einen Euro für ein Handy bezahlt habe
  • mitunter teure Auslandskosten, wenn man im Netz surft
  • kurze Akkulaufzeiten, gerade bei längeren Wanderungen im Gebirge ungünstig

Teils aus emotionalen Gründen:

  • die ständige Erreichbarkeit, nachdem fast von einem verlangt werden kann, dass er auch unterwegs E-Mails abruft
  • ständige Teilnahme an Chats wie WhatsApp oder ähnlichem und der Drang andauernd dort nachzusehen
  • nur noch online sein, auch unterwegs keine Barriere, außer dem eigenen schwachen Willen, zu haben, online gehen zu können

Lange Zeit dachte ich, mein Kommunikationsdefizit würde sich mit ständigem Training, mit dem sich Aussetzen müssen von Umwegen über verbale Zusammentreffen, schon verbessern. Denn ich bin ja wie die anderen auch, nur trete offenbar in jedes Fettnäpfchen.

Jetzt weiß ich, dass es sich ganz anders verhält. Dass ich mit Gleichgesinnten, die genauso kommunizieren, viel besser klarkomme als mit denen, die anders sind. Anders, das ist die große Mehrheit. Es handelt sich mehr um kulturelle Defizite als um soziale Defizite. Ich kommuniziere gerne und tue das oft ziemlich ausschweifend. Am besten kann man natürlich kommunizieren, wenn man auf einer Wellenlänge ist, die gleichen Themen hat, die gleichen Interessen, und vor allem eine Offenheit gegenüber Neuem, und nicht alles als Blödsinn abkanzelt, das man sich selbst nicht erklären kann. Meine Schwierigkeiten gehen weit darüber hinaus, nicht die gleichen Themen zu haben, sondern eher mit Smalltalk nicht umgehen zu können, zu reden, um Informationen auszutauschen, nicht um Subtext zu teilen, der nur dazu dient, ein Netz kultureller Symbole zu pflegen, mit dem sich beide Gesprächspartner identifizieren.

Aber was sind jetzt die Vorteile des Smartphones, abseits davon, über installierte Chatsoftware lästige Anrufe zu umgehen, und nur dann zu antworten, wenn es einem gerade danach beliebt?

Es ist vor allem die Organisation, die sich vereinfacht. Etwa Zugtickets online abrufen zu können, und damit die Spartickets mit Zugbindung nicht mehr daheim liegen lassen, und für den Neukauf 80 € bezahlen zu müssen. To-Do-Listen am Handy zu schreiben, in Kalender oder Listen zu sortieren, und Dinge, die via Internet gehen, gleich zu erledigen. Denn vor allem das schlechte Arbeitsgedächtnis ist es, das Aufgaben anhäuft, bis die To-Do-Liste nicht mehr abarbeitbar erscheint, bis sich wichtige Entscheidungen immer weiter hinaus verschieben, weil man sich vornimmt, sie endlich anzugehen, der Zettel mit der To-Do-Liste, aber zuhause liegt, und unterwegs wieder alles vergessen ist. Gelegentlich nehme ich zwar die Zettel mit, verlege sie aber in diversen Taschen oder verliere sie unterwegs wieder.

Ich sehe das Smartphone daher als Gedächtnisstütze und gleichzeitig als Werkzeug, um Prokrastination zu vermeiden. Welche weiteren Vorteile sich ergeben könnten, muss ich erst ausprobieren – noch habe ich nicht den passenden Tarif, um mir ein Smartphone zuzulegen. All der kleine Schnickschnack, wie Spiele, streamen, als Musikdatenbank (dafür hab ich einen Mp3-Player) oder als Kamera (dafür hab ich eine Kamera) verwenden, interessiert mich übrigens nicht. Auch wenn es natürlich manchmal juckt, ein Foto gleich online zu stellen.

Andererseits ist es wesentlicher Teil meiner Entspannungsroutine, Bilder erst daheim zu sichten, ausgiebig zu überlegen, welche sich für künstlerische Bearbeitung oder direkten Upload lohnen, und vor allem Bilder auszusortieren – gerade Streetfotos -, die andere Menschen in kompromittierenden Situationen zeigen. Zu schnell wird etwas hochgeladen, das die Privats- oder gar Intimsphäre der anderen verletzt. Deswegen bevorzuge ich hier eine handwerkliche Verzögerung, die notwendige emotionale Distanz, um beurteilen zu können, ob etwas veröffentlicht werden soll.

Für die große Mehrheit ist das Smartphone seit vielen Jahren integrativer Bestandteil des Alltags. Ich weigerte mich als Kulturpessimist gegen eine Verwendung. Jetzt betrachte ich es als Chance, als Hilfsmittel bei den Tücken im Alltag, egal ob Gedächtnis, Kommunikation oder Organisation. Warum sich das Leben schwer machen, wenn man bisher geglaubt hat, Übung löse alle Probleme, aber in Wirklichkeit liegen die Probleme woanders, und die Probleme auf verschiedenen Ebenen bloß anzuhäufen, ist nicht unbedingt motivationsfördernd, eines davon anzugehen, wenn man den ganzen Berg vor sich hat.

In zwei, drei Monaten wohl werde ich die ersten Erfahrungen gesammelt haben, dann komme ich nochmal auf diesen Eintrag zurück.