Übersetzung: Individuelle Unterschiede bei Autismus und warum die „extreme male brain“-Theory in die Tonne gehört

Übersetzung von http://aspertypical.com/2015/09/07/an-informal-rant-about-individual-differences-in-autism-and-why-the-extreme-male-brain-theory-should-be-axed/

Ich denke, das fundamentale Problem, weshalb wir nicht den Unterschied zwischen Männern und Frauen mit Autismus verstehen können, ist, weil wir Autismus als eine der Person übergeordneten Schicht betrachten, und nicht berücksichtigen, dass diese zwar viel von unserem Denken und Verhalten färbt, aber weiterhin Einfluss der Persönlichkeit vorhanden ist, äußere Einflüsse wie Gesellschaft, Gender, Erfahrungen, Rang der Geburt, Sternzeichen, vergangene Leben (zu weit?!).

Der Punkt ist, dass wir alle individuell und einzigartig sind, und Autismus da hineinmischt. Beispielsweise erscheinen zwei Menschen, die unter Depressionen leiden, völlig verschieden. Der eine mag ans Bett gebunden sein, und weigert sich zu essen oder zu sprechen, und hat sein Leben komplett aufgegeben.

Eine andere schluchzt laut auf der Arbeit, sobald etwas schiefgeht, erzählt Leuten, die sie gerade trifft über Prozac, das ihr Doktor ihr kürzlich verschrieben hat, und wie ihr Therapeut denkt, dass es von der emotionalen Vernachlässigung durch ihre Mutter herrührt. Doch es gibt auch Menschen, von denen Du nicht einmal wusstest, dass sie depressiv waren, die sich äußerlich kein bisschen verändert haben. Was veranlasst die Menschen, so unterschiedlich auf die gleiche Erkrankung zu reagieren?

Es ist unfair zu sagen, dass dies vom Schweregrad abhängt. Oft begehen jene depressive Menschen Suizid, von denen Du nicht einmal den Verdacht hattest, dass sie überhaupt Probleme haben. Worauf das hinausläuft: Es geht um individuelle Persönlichkeiten und Erfahrungen. Der Extrovertierte, der es liebt, unter Leuten zu sein, und der niemals Zurückweisung erfahren hat, schluchzt eher in der Öffentlichkeit und hat keine Furcht, dabei gesehen zu werden, während der Introvertierte, der in der Vergangenheit abgewiesen wurde, seine Erkrankung komplett versteckt hält, und glaubt, dass die anderen zu dumm sind, um seine Gefühle nachvollziehen zu können.

Während wir Diagnosen wie Depressionen als Krankheit betrachten, gibt es ähnliche Auswirkungen bei allen psychiatrischen, neurologischen und Entwicklungsstörungen. Deshalb sind wir an die sehr engen Kriterien, was Autismus ist und wie es ausschaut, gebunden. Wir haben Kernsymptome aufgestellt, die sich bei jedem Autisten finden lassen sollten (soziale Kommunikationsprobleme und beschränkte und wiederholtes Verhalten); unser Fehler ist zu glauben, dass diese bei jedem gleich aussehen sollten.

Die Diagnose wäre viel leichter, wenn es so wäre, aber können wir sagen, dass nur weil jemand guten Blickkontakt herstellen kann, sie nicht autistisch sein können? Nein, weil es so viele Faktoren gibt, weshalb Leute mehr oder weniger geneigt dazu sind, Blickkontakt herzustellen. Die Beeinträchtigung betrifft soziale Kommunikation als ein Ganzes, und das kann etwas sein, womit die Person innerlich stärker kämpft als äußerlich sichtbar ist. Beispielsweise kann jemand mit Autismus wirklich Mühe haben, mit jemand anderem Smalltalk zu führen, doch kann Strategien gelernt haben, sich vorzustellen und ein Gespräch am Laufen zu halten.

Das mag innerlich schmerzhaft unbeholfen sein, ist aber nach außen hin nicht wahrnehmbar, das bedeutet nicht, dass hier keine Beeinträchtigung vorliegt. Was passiert, wenn Du an eine sehr extrovertierte autistische Person gerätst? Schaut dies genauso wie bei einer sehr introvertierten autistischen Person aus? Was, wenn Du einen Autist mit fünf Brüdern hast, verglichen mit einem, der ein Einzelkind war? Sind sie in der Lage, besser mit ihren Mitmenschen umzugehen und sind sie weniger unnachgiebig und selbstbezogen? Der Punkt ist, dass sich Beeinträchtigungen auf hunderte verschiedene Arten ausdrücken können, die individuell abhängig sind.

Wenn wir also Männer und Frauen mit Autismus miteinander vergleichen, schauen wir wirklich auf individuelle Unterschiede und welche Rolle diese spielen? Wenn wir die Extreme-Male-Brain-Theory [von Simon Baron-Cohen] hernehmen, die versucht, Autismus als eine extreme Form des männlichen Gehirns zusammenzufassen, wo Individuen im Spektrum ziemlich wenig Empathie und dafür einen hohen Sinn für Systematik aufweisen, sehen wir ein sehr eingeengtes Bild von Autimus, das keine individuellen Unterschiede zulässt.

Statt Autismus als eine extreme Form des männlichen Gehirns zu sehen, würde ich argumentieren, dass Autismus mehr ein extrem hyperfokussiertes selektives Gehirn ist. Wenn man vorwiegend Männer auf ein extrem männliches Gehirn testest, findet man natürlich viele, die extrem männlich sind, weil sie in ihren Interessen hyperfokussiert sind, und weil es sich um Männer handelt, sind diese großteils männlich orientiert.

Wenn also mehr Männer Systematisierer sind, die Physik mögen, dann werden sicherlich männliche Autisten sogar noch stärkere Systematisierer sein, die auf Physik fixiert sind. Schauen wir auf die üblichen Spezialinteressen von weiblichen Autisten, dann schauen diese komplett unterschiedlich zu den Männern aus. Weibliche Autisten sind oft besessen von Seifenopern, Büchern, Tieren und Psychologie. Man könnte daher sagen, dass Autismus ebenfalls eine extreme Ausprägung des weiblichen Gehirns ist, wenn Autismus tatsächlich ein extremes Gehirn ist. Ich bin oft überrascht, wie verschieden zwei Menschen im Spektrum sein können, und in einem Forschungs- und Arbeitsgebiet treffe ich auf einen wirklich vielfältigen Mix an Menschen mit Autismus.

Was sie alle verbindet, sind ihre ähnlichen Schwierigkeiten beim Kontakte knüpfen, und die extreme Ausgeprägtheit ihrer Interessen und Reaktion auf Sinnesreize. Es ist nicht hilfreich, Autismus noch weiter einzuengen als es bereits der Fall ist. Die Gehirne zweier Autisten schauen nie genau gleich aus, wie das bei Menschen ohne Autismus ebenso wenig der Fall ist.

Wenn wir Autismus einschätzen, müssen wir über die körperlichen Merkmale der Störung und Stereotypen, mit denen wir alle gefüttert wurden, um unser Leben und Arbeit einfacher zu machen, hinauszugehen. Wir reagieren alle unterschiedlich auf die Welt, und nur weil eine Person autistisch ist, bedeutet das nicht, dass sie nicht ebenso eine eigene Persönlichkeit und Erfahrungen hat.

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