Ich werde nicht aufhören, über das Klinefelter-Syndrom zu sprechen

Vorbemerkung: Dieser Blogbeitrag einer sehr couragierten Mutter eines XXY-Buben ist eine Übersetzung wert, er richtet sich vor allem an die Eltern, aber auch an uns Betroffene und unser Umfeld.

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Kürzlich hörte ich den Podcast eines Freundes zum Thema „Sharenting“ (Anm.: Share + Parenting). Dieser Begriff wird benutzt, um die Art und Weise zu beschreiben, wie Social Media von Eltern und deren Kindern genutzt wird. Grundsätzlich handelt es sich um die Kultur des übertriebenen Mitteilungsbedürfnis. Das war ein wirklich großartiges Gesprächsthema, das meine Augen gegenüber ein paar Dingen öffnete, die ich selbst auf meiner eigenen „social media“- Seite getan habe. Als ich jedoch weiter zuhörte, kam das Thema schließlich anonymerweise auf mich (es war SEHR offensichtlich, dass sie über mich redeten). Ich wurde zum Thema gemacht, weil ich offen über das Klinefelter-Syndrom meines Sohnes schreibe und spreche. Sie hatten ein paar ausgewählte Worte über mich zu sagen, und dass das, was ich tue, für meinen Sohn schädlich sei. Ich wurde ignoriert und eigennützig genannt, weil ich sie offen damit umging, wegen EINES Themas, das sie beschlossen über das Syndrom zu erwähnen…. und das, meine Freunde, ist genau der Grund, weshalb ich öffentlich über das Klinefelter-Syndrom schreibe und spreche: Bildung.

Das Problem für mich war nicht, dass in diesem Podcast über mich negativ gesprochen wurde… Ich bin eine erwachsene Frau und respektiere Meinungen anderer Leute. Manche Kommentare über „Sharenting“ ergaben Sinn. Ja, ich teile eventuell übertrieben mit, das bedeutet nicht, dass dieser Blog ewig online sein wird …. Was mich aber aufregte war, dass sie vom Klinefelter-Syndrom überhaupt keine Ahnung haben. Warum? Weil Google ihnen keine entsprechenden Informationen gibt….wie VIELE von uns Müttern herausfanden. Natürlich war das zentrale Thema ihrer Diskussion war, weil ich offen über dieses Syndrom spreche (was ich wünsche, sie hätten gesagt statt darüber still zu sein), die Welt über eines der MÖGLICHEN Symptome herausfinden könnte, nämlich MÖGLICHERWEISE einen kleineren Penis/Hoden zu haben. Und indem man der Welt „Klinefelter-Syndrom“ sagt, werden ALLE über „sein Geschäft“ Bescheid wissen. Das ist die verdammte Sache. Ich will nicht einmal auf das Argument zurückkommen, dass wir die Art der Gesellschaft über Penisse zu denken ändern sollten… das ist für einen anderen Tag.

Jedenfalls denke ich folgendermaßen über die ganze Sache:

Warum wird nicht über das Thema Entwicklung gesprochen? Hätten sie die entsprechende Information gehabt, hätten sie herausgefunden, dass die Penisgröße tatsächlich die GERINGSTE Sorge jeder Eltern ist. Wären sie zu Elternselbsthilfegruppen gegangen, hätten sie herausgefunden, dass ein großer Prozentsatz der Buben mit KS Autismus, Lern- und Emotionsverzögerungen hat…. In meinem Blog schreibe ich allgemein über den Entwicklungsfortschritt meines Sohnes.

Warum wird nicht über das Thema Muskelschwäche und Wachstum gesprochen? Viele Buben und Männer hadern mit Muskelkraft und -entwicklung, was im Sport oder bei körperlichen Aktivitäten Schwierigkeiten macht. Die Größe ist ebenfalls ein Symptom von Klinefelter und kann Schwierigkeiten verursachen. Kombiniert man Größe mit schwachem Muskelaufbau, kann ich mir nicht vorstellen, dass das spaßig ist. Und manche dieser Kinder wachsen so schnell! Ich hab einige Buben gesehen, die bereits um die 6 Fuß ( 2 m!) groß ist, bevor sie überhaupt in die Nähe der Pubertät kommen!

Warum wird nicht über Abtreibungsraten gesprochen? Ich bekam heute ein E-Mail einer sehr netten Frau, die zu Tode erschrocken war, nachdem sie Beiträge im BabyCenter gelesen hat. Ich weiß genau, über was sie redete, weil ich mich an ihrer Stelle befand, und nach Informationen suchte und damit zurückgelassen wurde, viele Frauen zu finden, die über einen Schwangerschaftsabbruch redeten, nachdem sie eine pränatale Diagnose erhalten haben. Ich will das nicht zu sehr ausweiten, aber man sollte es definitiv erwähnen. Mangels Informationen bleiben die Mütter zu Tode erschrocken zurück!

Warum wurde die Tatsache nicht genannt, dass die Mehrheit der Buben und Männer im Ausland diagnostiziert wurden? Ich finde das tatsächlich extrem interessant und es sollte zum Thema werden. In allen Selbsthilfegruppen ist der Prozentsatz der Auslandsdiagnosen offenkundig höher als in den USA? Warum ist das so? Könnte es damit zu tun haben, dass ein Chromosomentest in den USA nach der Geburt ab $ 1000 aufwärts kostet?

Und am wichtigsten von allem…. warum wurde die Tatsache nicht genannt, dass – obwohl es sich um ein sehr GÄNGIGES Syndrom handelt – es kaum bis gar keine Mediziner gibt, die Informationen bereitstellen können?

Warum muss ich zu einem von drei US-Staaten reisen, die in dieser Diagnose spezialisiert sind oder eine Chromosomenabteilung in ihrem Krankenhaus besitzen? Warum muss ich zu einem Genetiker gehen, um zumindest die geringsten Antworten und nächsten Schritte zu erfahren? Warum muss ich mich auf ergoogelte Informationen verlassen… um veraltete und falsche Informationen (abseits weniger Webseiten) zu erhalten? Warum bin ich auf FACEBOOK angewiesen, um wenigstens eine Art Hoffnung zu bekommen? Warum müssen Mütter auf MEINEN BLOG gelangen, um wieder etwas Hoffnung sammeln zu können?

Ich bekam von Müttern aus der ganzen Welt E-Mails, die sich für meinen Blog bedankten…. und ehrlicherweise …. ICH SCHREIBE NICHT VIEL. Noch schreibe ich wirklich bedeutende Informationen. Ich mein das ernst …. während das sehr schmeichelhaft und erstaunlich ist…. denke ich, dass es zugleich traurig ist. Eltern sollten leichten Zugang zur richtigen Information haben.

So bin ich übertrieben mitteilsam? Darauf könnt ihr Gift nehmen! Und ich setze das fort, bis sich die Dinge ändern. Und ich spreche für meinen Sohn, ohne ihm die Gelegenheit zu geben, für sich selbst zu sprechen? Ja, und ich werde entsprechende Kommentare in Erwägung ziehen, wenn er älter ist…. aber für den aktuellen Zeitpunkt… schäme ich mich nicht dafür, darüber zu sprechen.

Hier ist der Schlussstrich: Ich werde die Tatsache nicht verbergen, dass mein Sohn KS hat. IMMER. Ich weigere mich etwas zu verstecken, das ER ist.  Er kann nichts daran ändern, dass er mit einem zusätzlichen Chromosom geboren wurde. Warum sollte ich das verbergen? Warum sollte ich ihm lehren, sich wegen etwas zu schämen, das er nicht ändern kann? Ich denke, das wäre für ihn schädlicher als ihm die Wahl zu nehmen, offen darüber zu sprechen. Ich werde ihn dazu erziehen, Vertrauen in sich selbst zu haben, aber verstehe auch die Probleme, die Amerika mit Leuten hat, die anders sind. Ich denke, es ist an der Zeit, dass wir die Art, wie die Gesellschaft denkt, ändern! Das ist meine Meinung.

Wir sind mit dem Glück gesegnet, das so frühzeitig herausgefunden zu haben. Ich bin dafür dankbar, dass ich ihm dabei helfen kann, eine starke und selbstbewusste Person zu werden. Ich schrieb diese Geschichte in Selbsthilfegruppen; Männer und Eltern…. Ich fand heraus, dass Eltern, die es im späteren Alter herausfanden, eher davor zurückschrecken, offen damit umzugehen. Ich verurteile sie deswegen nicht in dieser Gesellschaft noch denke ich, dass es falsch ist. Viele KS-Männer unterstützen es, offen damit umzugehen und haben keine Hemmungen, öffentlich darüber zu sprechen. Ich lernte eine kleine Handvoll Männer kennen, die anders denkt.

Abschließend …. Ich habe NICHT das Klinefelter-Syndrom. Ich versteh das zu 100 %. Aber ich bin Teil einer großen Gemeinschaft von Eltern, die die Herausforderung hat, ein Kind mit diesem Syndrom großzuziehen…. Herausforderungen durch die Symptome, Mangel an Informationen, und die Herausforderung, diesen Prozess etwas einfacher zu gestalten.

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